Die wichtigste Regel, der man sich stets bewusst sein sollte, ist, dass Telefonie ein synchrones Medium ist, d.h. die Informationen müssen für den Sender und den Empfänger praktisch "gleichzeitig" vorliegen und dies über die Dauer der gesamten Kommunikation. Während wir in einem Telefongespräch Verzögerungen bis ca. 300 ms noch einigermaßen tolerieren, werden Pausen von einer halben Sekunde und mehr als sehr störend empfunden und kaum akzeptiert. Bei der IP-Telefonie wird ein synchrones Kommunikationsmittel über eine asynchrone Technik transportiert. Die Funktionsweise des TCP/IP-Protokolls des Internets wurde auf Störfestigkeit und Robustheit hin ausgelegt und nicht auf einen Datentransport in Echtzeit. Für den Transport von E-Mails zum Beispiel ist es völlig unerheblich, ob im Datentransport mehrere Unterbrechungen von einigen Sekunden liegen. Dass es überhaupt möglich ist, Telefonie via IP unter diesen Bedingungen erfolgreich umzusetzen, liegt an der Leistungsfähigkeit der heutigen Netzwerktechnologie. Dadurch, dass die zu übertragene Datenmenge im Verhältnis zur vorhandenen Übertragungskapazität deutlich geringer ist, können die Anforderungen quasi in Echtzeit umgesetzt werden. Bei den meisten Netzwerken liegen jedoch häufig unterschiedliche Lastzustände vor, d.h. die zur Verfügung stehende Bandbreite wird zu unterschiedlichen Zeiten mal stärker und mal weniger stark ausgenutzt. In fast allen Unternehmen kann man beobachten, wie die Auslastung des Netzwerks dem Rhythmus des Arbeitstages folgt. Zwischen 8 Uhr morgens und 18 Uhr abends steigt die Auslastung in der Regel, da die Mitarbeiter zum Beispiel E-Mails schreiben, im Web surfen, Daten herunterladen etc. Zu den Zeiten, in denen die Mitarbeiter intensiv arbeiten, telefonieren sie aber auch, d.h. unsere IP-Telefone konkurrieren mit dem restlichen Netzwerkverkehr um die zur Verfügung stehende Bandbreite. Und während es für die Zustellung einer E-Mail kein größeres Problem darstellt, wenn die Verbindungsgeschwindigkeit sinkt -- es dauert halt etwas länger --, kann es für unsere IP-Telefone kritisch werden, wenn die Bandbreite unter den Mindestbedarf fällt. Die Sprachqualität leidet dann deutlich, es kommt zu Aussetzern und Sprachfetzen. Wie störend das ist, kennt sicherlich jeder von Telefonaten mit dem Mobiltelefon bei einer schlechten Verbindung. Um mit den unterschiedlichen Anforderungen der jeweiligen Verbindungsarten besser umgehen zu können, verfügen professionelle Netzwerkrouter über die Möglichkeit, Netzwerkverkehr je nach Typ zu priorisieren.[28]
Diese Maßnahme ist zwar geeignet, den Netzwerkverkehr nach innen und außerhalb des eigenen Netzwerkanschlusses zum Internet-Provider entsprechend zu regeln, jedoch hat dies keinen Einfluss auf die Lastsituation im Netz des Providers. Erst wenn der Provider entsprechende Garantien für Übertragungskapazitäten für bestimmte Verbindungstypen[29] anbietet, kann die Kette lückenlos geschlossen werden. Falls Sie also mehrere Standorte in Ihrem Unternehmen via IP-Telefonie verbinden möchten, sollten Sie dies in Ihrer Planung berücksichtigen und mit Ihrem Provider darüber sprechen. Die Telefonanlage der Apfelmus GmbH bedient 78 Endgeräte. Das heißt, dass im schlimmsten Fall 39 zeitgleiche interne Verbindungen zustande kommen können, wenn die Mitarbeiter sich nur intern anrufen. Abhängig vom verwendeten Codec für die Kodierung des Audiosignals ergibt sich ein Netzwerkverkehr von maximal 6.500 kbps[30], was für die heute gängigen 100 Mbps[31] an Netzwerkbandbreite in strukturierten Inhouse-Verkabelungen keine Herausforderung darstellt. Dennoch sollten Sie berücksichtigen, dass anderer Netzwerkverkehr ebenfalls übertragen wird und die verfügbare Bandbreite rasch an Grenzen stoßen kann. Wie kommt der Wert von 6.500 kbps zu Stande? Für die Inhouse-Verbindungen greifen wir in unserem Beispiel auf den a-law[32] Codec zurück, der auch im ISDN-Netz zum Einsatz kommt. Er bietet eine sehr gute Sprachqualität, benötigt dafür aber auch 64 kbps Bandbreite. Jede Verbindung besteht aus einem eingehenden und einem ausgehenden Kanal mit jeweils 64 kbps, die 39 Verbindungen summieren sich auf: 2*39*64 kbps = 4.992 kbps. Zum Bandbreitenbedarf des Codecs kommt noch ein Overhead durch das TCP/IP-Protokoll hinzu, so dass aus den 64 kbps ca. 80 kbps an Netzwerkverkehr werden. Legt man der Rechnung nun die 80 kbps zu Grunde, ergibt das 6.280 kbps, aufgerundet erhält man die genannten 6.500 kbps. Dabei sind die 6.500 kbps natürlich nur ein Worst-Case-Szenario. Trotzdem sollte man immer für genau dieses gerüstet sein![33]
Wer sich am Anfang einer solchen Installation nicht sicher ist, ob die Netzwerkbandbreite ausreicht, sollte lieber einen verlustbehafteteren Codec wie GSM benutzen. Der benötigt mit 13-15 kbps nur ein Fünftel der Bandbreite vom a-law Codec und hat eine akzeptable Sprachqualität. Später kann man dann einzelne Bereiche Stück für Stück auf bessere Codecs umstellen und dabei beobachten, ob es Netzwerkprobleme gibt. Sie sollten dabei jedoch die Auslastung der CPU im Auge behalten, da die komprimierenden Codecs deutlich mehr Rechenleistung in Anspruch nehmen. |
[28] TOS - Type Of Service
[29] QOS - Quality Of Service
[30] kbps = kilobits per second
[31] Mbps = Megabits per second, also 1.024 kbps
[32] Eigentlich G.711, der in zwei Varianten auftritt als a-law und u-law.
[33] Auf der Webseite http://www.asteriskguru.com/tools/bandwidth_calculator.php finden Sie ein einfaches Online-Tool zur Bandbreitenberechnung verschiedener Codecs.