5.4. Auswahl der Infrastruktur
Da in dem neuen Gebäude bereits eine strukturierte und moderne
Netzwerkverkabelung vorliegt, ist es eine naheliegende Idee, jeden
Arbeitsplatz mit einem SIP-Telefon auszustatten. So müssen nicht extra
Kabel für das Telefonnetz verlegt werden. Die Faxe und schnurlosen
Telefone werden über SIP-to-Analog-Adapter angeschlossen. Der
Asterisk-Server wird in einem ordentlich ausgestatteten Serverraum mit
entsprechender Klimatisierung untergebracht, mit Sicherheitseinrichtungen
und Zugangskonzept. Durch das Zugangskonzept und die
Sicherheitseinrichtungen haben auch nur diejenigen Personen Zugriff auf
die Anlage, die dazu berechtigt sind.[]
Die wichtigste Regel, der man sich stets bewusst sein sollte, ist,
dass Telefonie ein synchrones Medium ist, d. h., die Informationen
müssen für den Sender und den Empfänger praktisch "gleichzeitig"
vorliegen, und dies über die Dauer der gesamten Kommunikation. Während
wir in einem Telefongespräch Verzögerungen bis ca. 300 ms noch
einigermaßen tolerieren, werden Pausen von einer halben Sekunde und mehr
als sehr störend empfunden und kaum akzeptiert. Bei der IP-Telefonie
wird ein synchrones Kommunikationsmittel über eine asynchrone Technik
transportiert. Die Funktionsweise des TCP/IP-Protokolls des Internets
wurde auf Störfestigkeit und Robustheit hin ausgelegt und nicht auf
einen Datentransport in Echtzeit. Für den Transport von E-Mails zum
Beispiel ist es völlig unerheblich, ob im Datentransport mehrere
Unterbrechungen von einigen Sekunden stattfinden. Dass es überhaupt
möglich ist, Telefonie via IP unter diesen Bedingungen erfolgreich
umzusetzen, liegt an der Leistungsfähigkeit der heutigen
Netzwerktechnologie. Dadurch, dass die zu übertragene Datenmenge im
Verhältnis zur vorhandenen Übertragungskapazität deutlich geringer ist,
können die Anforderungen quasi in Echtzeit umgesetzt werden. Bei den
meisten Netzwerken liegen jedoch häufig unterschiedliche Lastzustände
vor, d. h., die zur Verfügung stehende Bandbreite wird zu
unterschiedlichen Zeiten mal stärker und mal weniger stark ausgenutzt.
In fast allen Unternehmen kann man beobachten, wie die Auslastung des
Netzwerks dem Rhythmus des Arbeitstages folgt. Zwischen 8 Uhr morgens
und 18 Uhr abends steigt die Auslastung in der Regel, da die Mitarbeiter
zum Beispiel E-Mails schreiben, im Web surfen, Daten herunterladen etc.
Zu den Zeiten, in denen die Mitarbeiter intensiv arbeiten, telefonieren
sie aber auch, d. h., unsere IP-Telefone konkurrieren mit dem restlichen
Netzwerkverkehr um die zur Verfügung stehende Bandbreite. Und während es
für die Zustellung einer E-Mail kein größeres Problem darstellt, wenn
die Verbindungsgeschwindigkeit sinkt – es dauert halt etwas länger
–, kann es für unsere IP-Telefone kritisch werden, wenn die
Bandbreite unter den Mindestbedarf fällt. Die Sprachqualität leidet dann
deutlich, es kommt zu Aussetzern und Sprachfetzen. Wie störend das ist,
kennt sicherlich jeder von Telefonaten mit dem Mobiltelefon bei einer
schlechten Verbindung. Um mit den unterschiedlichen Anforderungen der
jeweiligen Verbindungsarten besser umgehen zu können, verfügen
professionelle Netzwerkrouter über die Möglichkeit, Netzwerkverkehr je
nach Typ zu priorisieren.[]
Diese Maßnahme ist zwar geeignet, um den Netzwerkverkehr nach
innen und außerhalb des eigenen Netzwerkanschlusses zum
Internet-Provider entsprechend zu regeln, jedoch hat dies keinen
Einfluss auf die Lastsituation im Netz des Providers. Erst dann, wenn
der Provider entsprechende Garantien für Übertragungskapazitäten für
bestimmte Verbindungstypen
[] anbietet, kann die Kette lückenlos geschlossen werden.
Falls Sie also mehrere Standorte in Ihrem Unternehmen via IP-Telefonie
verbinden möchten, sollten Sie dies in Ihrer Planung berücksichtigen und
mit Ihrem Provider darüber sprechen. Die Telefonanlage der Apfelmus GmbH
bedient 78 Endgeräte. Das heißt, dass im schlimmsten Fall 39 zeitgleiche
interne Verbindungen zustande kommen können, wenn die Mitarbeiter sich
nur intern anrufen. Abhängig vom verwendeten Codec für die Kodierung des
Audiosignals ergibt sich ein Netzwerkverkehr von maximal 6.500
kbit/s
[], was für die heute gängigen 100 Mbps
[] an Netzwerkbandbreite in strukturierten
Inhouse-Verkabelungen keine Herausforderung darstellt. Dennoch sollten
Sie berücksichtigen, dass anderer Netzwerkverkehr ebenfalls übertragen
wird und die verfügbare Bandbreite rasch an Grenzen stoßen kann. Wie
kommt der Wert von 6.500 kbit/s zustande? Für die Inhouse-Verbindungen
greifen wir in unserem Beispiel auf den a-law
[]-Codec zurück, der auch im ISDN-Netz zum Einsatz kommt. Er
bietet eine sehr gute Sprachqualität, benötigt dafür aber auch 64 kbit/s
Bandbreite. Jede Verbindung besteht aus einem eingehenden und einem
ausgehenden Kanal mit jeweils 64 kbit/s. Die 39 Verbindungen summieren
sich auf: 2*39*64 kbit/s = 4.992 kbit/s. Zum Bandbreitenbedarf des
Codecs kommt noch ein Overhead durch das TCP/IP-Protokoll hinzu, sodass
aus den 64 kbit/s ca. 80 kbit/s an Netzwerkverkehr werden. Legt man der
Rechnung nun die 80 kbit/s zugrunde, ergibt das 6.280 kbit/s,
aufgerundet erhält man die genannten 6.500 kbit/s. Dabei sind die 6.500
kbit/s natürlich nur ein Worst-Case-Szenario. Trotzdem sollte man immer
für genau dieses Szenario gerüstet sein!
[]Tipp
Wer sich am Anfang einer solchen Installation nicht sicher
ist, ob die Netzwerkbandbreite ausreicht, sollte lieber einen
verlustbehafteteren Codec wie GSM benutzen. Der benötigt mit 13-15
kbps nur ein Fünftel der Bandbreite des a-law-Codecs und hat eine
akzeptable Sprachqualität. Später kann man dann einzelne Bereiche
Stück für Stück auf bessere Codecs umstellen und dabei beobachten,
ob es Netzwerkprobleme gibt. Sie sollten dabei jedoch die Auslastung
der CPU im Auge behalten, da die komprimierenden Codecs deutlich
mehr Rechenleistung in Anspruch nehmen.
Die Anforderungen, die an das Netzwerk gestellt werden, treffen im
Prinzip auch auf die verwendete Hardware des Rechners zu. Die
Notwendigkeit der synchronen Datenübertragung erfordert auch eine
entsprechend zeitnahe Abarbeitung der notwendigen Vorgänge durch den
verwendeten Rechner. Hierbei gibt die Kodierung und Dekodierung des
Sprachsignals den Leistungsbedarf vor – insbesondere dann, wenn
die beteiligten Endgeräte unterschiedliche Codecs verwenden und Asterisk
die ankommenden und ausgehenden Datenströme umkodieren muss. Aufgrund
der großen Bandbreite an verfügbarer Hardware und dem jeweils
spezifischen Leistungsvermögen gibt es keine einfache Regel für die
Bemessung. Als eine erste Orientierung soll folgende Staffelung
dienen:
Mit CPU ist an dieser Stelle eine handelsübliche CPU eines IBM-PC
kompatiblen Rechners (z. B. von Intel, AMD) gemeint. Bei der Berechnung
der möglichen Anzahl von Nebenstellen gehen wir davon aus, dass nicht
alle Nutzer zur gleichen Zeit telefonieren, sondern im Mittel ein
Drittel bis die Hälfte. Bitte betrachten Sie die angegebenen Werte
lediglich als eine grobe Orientierung, die zudem eher konservativ
geschätzt wurde, d.h. mit deutlicher Reserve. Fallen wenige
Umkodierungen, Konferenzschaltungen und Echo-Unterdrückungen an, dann
können deutlich mehr gleichzeitige Verbindungen bewältigt werden. Die
genaue Zahl kann oftmals nur durch sinnvolles Ausprobieren ermittelt
werden.
Tipp
Unter Linux gibt es mit
top
ein einfaches
Tool, um im laufenden Betrieb zu sehen, wie hoch die Last auf dem
Rechner ist. Allerdings gibt Ihnen das natürlich immer nur den
aktuellen Wert und reicht nicht für eine Langzeitanalyse. Dazu können
Sie leistungsstarke Tools wie Nagios
http://www.nagios.org verwenden.
Wer sich mit "Bordmitteln" weiterhelfen will, kann auch einen Cronjob
(siehe
man crontab
) mit folgendem Befehl
aufsetzen:
w | head -n 1 | logger
Damit kann man sich (wenn es entsprechend in
/etc/cronjob
eingestellt ist) jede Minute einmal
die aktuelle Systemlast in die Datei
/var/log/messages
schreiben lassen und diese dann
am Monatsende auswerten.[]
In unserem Beispiel haben wir 78 Benutzer, bei denen im Mittel
nicht mehr als 40 gleichzeitige Verbindungen vorliegen sollten, somit
wäre ein Rechner mit einer halbwegs aktuellen CPU[]
mit 1,5 GHz Taktfrequenz geeignet. Je aktueller CPU und
Gesamtsystem sind, desto höher ist in der Regel die Leistung, und es
können bei gleicher Taktfrequenz deutlich mehr Gespräche gleichzeitig
abgearbeitet werden. Ein Dual-CPU-System verbessert hier den Wert
ebenfalls, da die Rechenleistung für notwendige Aufgaben des
Betriebssystems besser verteilt wird. Für die Voicemailboxen benötigt
man ca. 0,1 MB an Speicherplatz pro aufgezeichneter Minute.[] Stattet man jeden Nutzer mit 30 Minuten aus, wären für
unser Beispiel ca. 2 GByte an freiem Festplattenspeicher ausreichend
bemessen. Da die aufgezeichneten Daten denselben Stellenwert wie
Geschäftsdaten haben, sollten sie entsprechend gegen Ausfall und Verlust
abgesichert werden. Ein RAID-System[] mit zwei Festplatten im Mirroring-Modus (Level 1) sollte
hierbei ausreichend Absicherung gewährleisten. Für unser Beispiel würden
zwei 18-GB-SCSI-Festplatten im RAID-1-Verbund ausreichend sein. Die
Anforderungen an den verfügbaren Arbeitsspeicher (RAM) sind sehr
moderat. Mit 512 MB ist das System ausreichend bemessen, und ab 1 GByte
können selbst große Gruppen problemlos versorgt werden. Alle
zusätzlichen Maßnahmen, wie die Auswahl professioneller Hardware für den
Einsatz in Servern, die Ausstattung mit redundanten Netzteilen und mit
hochwertigen Komponenten erhöhen die Ausfallsicherheit und Betriebstreue
des Systems und damit später die Akzeptanz durch die Nutzer – die
es eher gelassen nehmen, wenn der E-Mail-Server mal 10 Minuten offline
ist, aber das Telefon muss immer funktionieren.